Praxistest des OPEL Corsa E von Paul Belcl. Über zwei Tage wurde der Elektro- Flitzer auf Herz und Nieren getestet, von praktischen Features bis hin zur Ladeleistung, Reale Reichweiten und den verschiedensten Fahrmodis. Der elektrische Corsa ist in Österreich ab € 27.399, – inkl. E-Mobilitäts Bonus-Anteil von Opel Österreich zu haben.
Erster Wahrnehmung
Der Opel Corsa E sieht grundsätzlich aus, wie ein normaler Corsa. Die Elektrovariante ist nicht auf einer gesonderten Plattform aufgebaut. Optisch gefällt das Auto sehr gut, denn es gibt klare Linien, keine runden Elemente. Die flache Bauweise in Kombination mit der schwarzen Dachführung gibt dem Auto ein sportliches Aussehen. Auch die Scheinwerfer und Rückleuchten passen dazu und geben dem Opel ein stimmiges Aussehen. Der Innenraum macht einen aufgeräumten Eindruck und alles scheint auf seinem Platz. Genug Ablagen am richtigen Platz für alles was man so im Auto rumliegen hat und ein Handschuhfach, das eher der Namen “Halle” verdient hat. Hier kann man sehr tief einschlichten. Im Motorraum ist leider kein Platz für einen Frontkofferraum, was ich etwas schade finde. Denn die wichtigsten Ladekabel getrennt vom Urlaubsgepäck zu transportieren macht viel Sinn in einem Elektroauto.
Technik
Die technische Ausstattung meines Testfahrzeuges (Elegance aus Bj. 02/2020) ist grundsätzlich gut. Es gibt Multifunktionslenkrad, Rückfahrkamera, LED Licht, Assistenten für Notbremse und, Spurwechsel, Abstandsregelung, Spurhalten und vieles Andere was man heute von einem Auto erwartet. Der 136 PS Frontmotor hat 260 Nm Drehmoment und das Sportfahrwerk gibt ein gutes und sicheres Fahrgefühl. Der Kleine beschleunigt in 8,1 Sek auf 100 km/h und bei 150 km/h ist Schluss. Die WTLP Reichweite ist mit 330 km angegeben, was mit dem 50 kWh Akku und 1530 kg Gesamtgewicht durchaus realistisch erscheint. Laden kann man den Opel mit maximal 100 kW an der CCS Säule oder bis zu 7,4 kW einphasig am Wechselstrom. Optional gibt es inzwischen einen 3 phasigen Bordlader mit 11 kW.
Der Kofferraum ist mit 267/1042 Liter ausreichend groß für einen Kleinwagen mit 4,06 m Länge. Auf Wunsch gibt es sogar eine Anhängekupplung mit 55 kg Stützlast. Genug für einen Fahrradträger und 2 E-Bikes, das gefällt mir besonders, denn das ist ein wesentliches Kaufkriterium für mich.
Starten und Cockpit
Beim Einsteigen fällt mir sofort auf, dass es hier nicht um Lifestyle geht, sondern um gut durchdachte Funktionen! Ich finde mich sofort zurecht und mir gefällt was ich sehe. Das zentrale Display ist in das Armaturenbrett eingelassen und strahlt eine unauffällige Eleganz aus. Die Bedienelemente sind hauptsächlich in Knöpfen und Tasten untergebracht. Man kann die Klimaanlage aber auch gerne über das Display bedienen, wenn man das will. Das Display Menü macht einen aufgeräumten und durchdachten Eindruck. Keine unnötigen Spielerein aber alles da was man braucht.
Im unteren Teil ist eine QI-Ladestation fürs Handy verbaut, die mein Samsung Phone auch durch die dicke Hülle laden kann, das gefällt mir sehr gut! Man kann das Telefon auch so ablegen, dass man auf das Display sieht, falls man mal mit dem Handy navigieren möchte. Das eingebaute Navi von Opel macht einen etwas altbackenen Eindruck, denn es gibt keine QWERTZ Tastatur. Die Navigation läuft gut, kann aber leider KEINE Ladepausen in längere Strecken einberechnen, das finde ich schade. Hat man das Handy per Bluetooth verbunden und alle Zugriffe geregelt, dann kann man mit der Sprachsteuerung des Autos Leute aus dem Adressbuch anrufen, das klappt bei mehreren Versuchen auch bei komplexeren Namen durchaus gut! Auch das Navi lässt sich so bedienen oder stoppen, wirklich gut durchdacht und überraschend zuverlässig.
Der Wählhebel für die Fahrprogramme macht einen edlen Eindruck. man könnte fast glauben der wurde aus einem Benz abmontiert. Retour nach Vorne und Drive nach Hinten ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Drückt man den Drive ein zweites Mal nach hinten wird der “B” Modus für stärkere Rekuperation aktiviert, ideal für die Stadt. Beim Retourfahren sieht man im Display nicht nur die Heckkamera, sondern auch eine errechnete Draufsicht auf das Fahrzeug, wirklich gut!
Praxis
Ich hole meinen Testwagen bei Opel Eisner in Liesing ab, da er derzeit nur dort verfügbar ist. Ich möchte einen Praxistest machen, daher wähle ich nicht ECO, sondern den Normal Modus und fahre über die S1 zurück nach Hause. Anschließend habe ich einen Termin am anderen Ende der Stadt. In Summe fahre ich heute im Normal Modus ca. 60 km weit und brauche etwas mehr als 1/4 des Akkus. Das lässt rechnerisch ca. 220 km tatsächliche Reichweite zu. Bei diesen Temperaturen, Sitzheizung, Heizung im Auto durchaus OK. Ich mache noch einen kleinen Abstecher zu Huma Simmering wo Typ 2 Lader stehen, die nicht mit jedem Auto können. Der Corsa kann dort ohne Probleme laden. An diesem Tag komme ich auf einen Verbrauch von 17,8 kWh auf 100km.
Am nächsten Tag fahre ich wieder eine Tour. Diesmal verwende ich hauptsächlich den “Sport” Modus und werde etwas zügiger unterwegs sein wie gestern. Als ich losfahre ist es –6 Grad kalt. Zuerst eine große Runde durch Wien (ca. 55 km) und danach einen Ausflug Richtung Wiener Neustadt und retour (+ 121 km). Bei der Rückfahrt auf der Autobahn ist es trocken und sonnig, da geht schon manchmal fast Vollgas, natürlich nur was erlaubt ist Heute sind des 19,2 kW/h auf 100km, die ich verbrauche.
Die Fahrprogramme ECO, Normal und Sport sind sehr gut abgestimmt und wirken auf die gesamte Leistungsabgabe. Bei “Eco” sind das 82 PS, im “Normal” Modus 109 PS und erst im “Sport” Modus werden alle 136 Pferde eingespannt. Das bedeutet man kann den Wagen durchaus noch sparsamer fahren als ich es in meinem Test wollte. Ich vermute, dass man bei normalen Außentemperaturen im ECO Modus bei gemäßigter Fahrweise nahe an den WTLP Wert herankommt. Der Fahrkomfort ist sehr gut, sportliche Fahrweise sicher möglich, aber heute bei Schnee und Eis, habe ich mir Versuche in diese Richtung verkniffen. Bei rutschiger oder nasser Fahrbahn kann der Corsa die 136 PS nicht immer optimal auf die Straße bringen. Das ESP greift erst ein wenn die Räder schon durchdrehen. Die Lenkung ist zwar präzise und leichtgängig, gibt aber eher wenig Rückmeldung.
Das abgeflachte Lenkrad ist für mich als 195 cm große Person durchaus praktisch um die Knie beim Lenken zu schonen. Da man das Lenkrad sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe verstellen kann, findet sich auch für größere Personen eine gute Sitzposition. Nur die Abstützung der Oberschenkel auf dem Sitz, ist bei meinen langen Füßen nicht gegeben. Aber das ist bei der niedrigen Sitzposition im Corsa E durchaus verständlich. Hier könnte man die vorderen Polster noch mit einer zusätzlichen Höhenverstellung versehen.
Die eingebauten Assistenzsysteme sind leicht zu bedienen und funktionieren zuverlässig. Bei der Autobahnfahrt hat allerdings der adaptive Tempomat auf halber Strecke die Funktion verweigert. Ein kurzer Funktionscheck hat dann einen total zugeschneiten Frontsensor zutage gebracht. Nach einer kurzen Reinigung war wieder alles OK! Bei diese Gelegenheit sei auch erwähnt, dass in diesem Auto viele Kleinigkeiten wirklich gut durchdacht sind. Zum Beispiel die QI Ladeplatte im Cockpit, die trotz meiner dicken Smartphone Hülle hervorragend geladen hat, oder die Reinigungsanlage der Heckscheibe, die das Wasser genau auf den Wischer sprüht, der es danach direkt auf der Scheibe verteilt, das habe ich auch schon bei teureren Fahrzeugen weniger perfekt gesehen.
Hat man im Drive Modus “B” für die starke Rekuperation aktiviert, dann kann man in der Stadt durchaus fast ohne Bremspedal auskommen. Völlig zum Stillstand bremst der Corsa damit allerdings NICHT, das ist schade. Diese Funktion lässt sich aber mit dem adaptiven Tempomat realisieren, wenn man ihn bei Kolonnenfahrt aktiviert dann wird bis zum Stillstand gebremst.
Laden
Bei der Rückfahrt suche ich mir den Schnellader am Verteilerkreis aus und komme dort mit ca. 20 % SOC an. Der Schnellader kann mehr als 100 kW, somit kann ich testen was der Corsa maximal laden kann. Am Schnellader kann ich in 17 Minuten 17 kWh laden, was einer Ladeleistung von 60 kW entspricht. Die maximale Ladeleistung die ich bei –8 Grad zu sehen bekomme ist 68 kW, aber ich war bei der Kälte nicht die ganze Zeit beim Auto.
Wieder eine kurze Fahrt durch die Stadt zu einem Lader von Wienstrom, der sich in der Nähe meines nächsten Zieles befindet. Ich spare mir den Parkschein und hänge den Wagen für 1 Stunde zum laden an, ist trotz der einphasigen Ladeleistung billiger, wie Parkscheine …
Ich würde mir beim Corsa jedenfalls den ca. 1200,- teuren 11kW Bord Lader dazukaufen. Das entspannt nicht nur extrem, beim Laden an Wechselstromladesäulen in der Stadt, sondern nutzt auch die volle Leistung, da an diesen Säulen immer noch die Ladezeit verrechnet wird.
Das kann man sich darum kümmern, weil der EMC eine Petition für faire KW Abrechnung im Laufen hat
Etwas Schade finde ich, dass ich keine Möglichkeit im Bordcomputer gefunden habe, das Laden auf einen gewissen SOC zu begrenzen. Braucht man nicht oft, macht aber durchaus manchmal Sinn um die Batterie nicht immer zu 100% aufzuladen, wenn man das gar nicht braucht.
Fazit
Der kleine Opel hat mich in mehrere Hinsicht begeistert. Er ist groß genug für 2 Personen und Urlaubsgepäck und klein genug um auch in der Stadt gut weiterzukommen. Der Akku mit 50 kWh sorgt für eine brauchbare Reichweite und mit der 100 kW Schnellademöglichkeit ist der Wagen an der passenden Ladesäule rasch wieder voll. Der Corsa E kann also durchaus auch für längere Strecken eingesetzt werden, wenn man seine Pausen etwas plant.
Die Verarbeitung und die Funktionalität macht einen sehr durchdachten Eindruck. Mir ist nichts aufgefallen was ich mir besser gewünscht hätte, bis auf die Oberschenkelabstützung am Fahrersitz. Alle Funktionen sind logisch, gut durchdacht und hochwertig ausgeführt. Es gibt kaum Spielereien oder spezielle Funktionen, aber es ist alles da, was ein Auto im Jahr 2021 haben sollte.
Der Corsa E verbraucht während meines gesamten Tests nie mehr wie 20 kWh auf 100 km und das trotz durchaus zügiger Fahrweise meist im “Sport” Modus, mit eingeschalteter Heizung (21 Grad) bei Außentemperaturen bis zu –8 Grad und Autobahnbenutzung. Damit kommt man selbst bei diesen Umständen auf ca. 200 km Reichweite, das ist wirklich gut!
Mehr über Paul Belcl findet Sie in seinem Blog:
https://blog.belcl.at/tag/eautos