Polestar 2 – Polarstern mit Kampfstern Genen?

Unser Tester Paul Belcl hatte den Polestar 2 fast eine ganze Woche zum Probefahren, lest hier was Paul herausgefunden hat. Der Polestar2 wird gerne als fahrendes Smartphone bezeichnet, doch das wird diesen Auto keinesfalls gerecht.

Ich sage, der Polstar2 ist ein Sportwagen im Kleid einer Limousine der so einfach zu bedienen ist, wie ein Smartphone. Das minimalistische Design des Polestar2 gibt dem Fahrzeug eine gewisse Eigenständigkeit ohne protzig zu wirken. Mit einem CW-Wert von 0,278 ist er trotz seiner Größe durchaus windschlüpfrig. Damit soll eine WLTP Reichweite von bis zu 470 km möglich werden.

TOP Ausstattung und Innenraum

Mit einer Länge von 4,6 m und einer Breite von 1,86m durchaus noch kompakt für eine Limousine. Der Innenraum macht durch die breite Mittelkonsole einen etwas engen Eindruck. Dafür gibt es guten Halt für die Beine bei sportlicher Fahrweise. Mein Testwagen hat ein Gewicht von 2113 kg und kann mit einer automatisch ausklappbaren Anhängekupplung ausgerüstet werden. Daran kann man bis zu 1500 kg gebremste Anhängelast ziehen, das ist beachtlich! Das Platzangebot hinten ist OK, aber nicht berauschend. Da der Polestar nicht zu 100% auf einer Elektroplattform aufgebaut ist, gibt es hinten auch einen Kardantunnel, der das Platzangebot nicht besser macht. Dafür gibt es sowohl einen Kofferraum mit 405 Liter und einen Front Kofferraum mit ca. 34 Liter.

Mein Testwagen in der Dual Motor Variante mit dem Long Range Akku (78 kWh) leistet 155 kW pro Motor, das bedeutet eine Systemleistung von 408 PS die mit 660 Nm an 4 Räder übertragen werden. In der Performance Variante mit Bremsen von Brembo, verstellbaren Öhlins Dämpfern, 245/40 R 20 Sportbereifung von Conti und geschmiedete 20 Zoll Alufelgen. In Summe eher ein Kampfstern als ein Polarstern.

Auch bei der Ausstattung ist in meinem Testwagen alles drin, was die Aufpreisliste hergibt, so möchte ich gerne jedes Testfahrzeug bekommen! Alles aufzuzählen würde diesen Bericht sprengen, daher nur einige Highlights. Hifi Anlage von Harman Kardon, Panorama Glasdach, elektrische Sitze mit Lendenwirbelverstellung, 360 Grad Kamera, unzählige Assistenten, LED Pixel Scheinwerfer, Thorshammer Tagfahrlicht und vieles mehr! Die gesamte Ausstattungsliste könnt ihr auf der Webseite von Polestar nachlesen.

Bedienung, Entertainment

Das Android basierte Infotainmentsystem hat einen Google Playstore und kann über die hervorragende Sprachsteuerung von Google bedient werden. Die Menüführung der wichtigsten Dinge ist extrem einfach und sehr übersichtlich gestaltet. In tiefere Konfigurationsbereiche kommt man über die Einstellungen der Android Oberfläche. Sehr gut gemacht!

Das Entertainment System ist mit DAB+ Radio ausgestattet und kann zusätzlich Spotify über eine App im Playstore als auch Musik eines verbundenen Handys abspielen. Android Auto ist bereits verfügbar, Apple Carplay soll demnächst folgen. Die QI-Ladeplatte kann ein Smartphone kontaktlos aufladen. Durch meine SP Hülle kann sie allerdings nicht immer durchladen. Es gibt allerdings auch zwei USB-C Schnittstellen zum Laden. Der Klang der 600 Watt starken Harman Cardon Anlage mit 13 Lautsprechern ist satt und kraftvoll. Die Klangverteilung kann ebenfalls über das Android Einstellungsmenü angepasst werden. Audiodateien eines dort angesteckten USB-C Sticks konnten in meinem Test allerdings nicht abgespielt werden. Möglicherweise muss man hier noch zusätzliche Apps runterladen.

Technik und Laden

Beim Anstecken eines Ladenschluss bekommt das Armaturenbrett eine farbliche Umrandung je nach Ladestatus. Somit ist es sehr einfach zu prüfen ob alles klappt! Der Entriegelungstaster im Ladeanschluss trennt zuverlässig den Stecker, falls die Typ2 Ladestation das mal nicht schafft. Der Akku des Polestar2 kann entweder mit 11kW am Wechselstrom, oder am Schnellader mit bis zu 150kW geladen werden.

Die 84 individuell gesteuerten Pixel LEDs in jedem Scheinwerfer geben auf dunkler Straße ein perfektes Licht, fast besser als eine Straßenbeleuchtung das könnte. Der Lichtkegel ist überraschend hoch und bietet damit nicht nur eine gute Weitsicht, sondern auch eine überdurchschnittlich breite Ausleuchtung, wirklich perfekt!! Zusätzlich erkennt eine Kamera am oberen Rand der Windschutzscheibe die Scheinwerfer von bis zu FÜNF entgegenkommender Fahrzeuge oder die Rückleuchten eines voranfahrenden Fahrzeugs und schaltet die entsprechenden Pixel im Frontscheinwerfer aus, um den umliegenden Verkehr nicht zu blenden.

Die breite LED-Rücklichtleiste, besteht aus 288 einzelnen LED- Lichtern. Sie erzeugt eine nahezu unverkennbare Silhouette des Polestar2 im Dunkeln. Das Panorama Glasdach geht weit in den hinteren Bereich hinein und besitzt vorne eine Projektion des Polarsterns auf die Innenseite des Glasdaches. Sieht sehr innovativ aus! Einen verschließbaren Sonnenschutz gibt es nicht, aber ich denke die Tönung des Glases wird das Schlimmste im Sommer verhindern.

Losfahren

Vor dem Losfahren verstaue ich mein Ladezeugs im 35 Liter großen Frunk. Hier hat ein komplettes Go-E Set, der 220V Notlader und ein Typ 2 Kabel Platz. Zum Losfahren muss kein Startknopf mehr betätigt, sondern nur der Fahrtrichtungshebel in die gewünschte Position gebracht werden.

Kurz nach dem Losfahren merke ich dass hier ein sehr praxistaugliches “One Pedal Driving” möglich ist. In der stärksten Rekuperationsstufe gewinnt der Polestar2 bis zu 100 kW Leistung retour und kann das auch bis zum Stillstand. Im Menü kann man sowohl die Stärke der Rekuperation in 2 Stufen einstellen, als auch ob das Fahrzeug bis zum Stillstand gebremst werden soll, oder langsam weiterrollt. Hier kann man sich also wirklich jede gewünschte Konfiguration von “OnePedal” bis zu “dahingleiten” aussuchen. Besser geht es fast nicht mehr!

Beim Ausparken komme ich auch gleich in den Genuss der 360 Grad Kamera. Die Übersicht zeigt die Abstände zu den 4 Fahrzeugseiten bemerkenswert genau an. Will man weitere Details, dann kann man die einzelnen Seitenansichten einzeln einblenden. Das ist besonders praktisch um in engen Garagen zu rangieren. Das Bild der Heckkamera sieht aus als würde man aus eine Höhle rausschauen. Sie ist allerdings besonders wichtig, denn die Sicht aus dem Inneren des Fahrzeuges nach Hinten ist nicht optimal.

Praxistest

Heute steht die 260 km lange Strecke über die S6 nach Murau auf dem Programm. Bewegt man das Fahrpedal behutsam macht der Polestar 2 beim Losfahren einen etwas trägen Eindruck. So als hätte er Mühe die Motoren aus dem Stand in Bewegung zu bringen. Der Antrieb ist bei langsamer Geschwindigkeit durchaus hörbar.

Wenn  man jedoch etwas beherzter mit dem Pedal umgeht, dann erwacht der Kampfstern im Auto. Von Trägheit ist dann nichts mehr zu spüren, denn der Polestar kann  in unter 5 Sekunden von 0-100 km/h beschleunigen.

Die brachiale Beschleunigung ist vergleichen mit einem Flugzeugstart, nur ohne Abheben. Solche Beschleunigungswerte hatte ich zuletzt im Tesla Performance. Jedenfalls liegt der Polestar2 satt auf der Straße und lässt sich sehr präzise steuern. Übertreibt man die Geschwindigkeit in der Kurve, dann schiebt das Auto dezent aber kontrollierbar über alle 4 Räder nach Außen. Allerdings wird man bei normaler Fahrweise in diese Situation kaum kommen.

Das 12 Zoll große Fahrerdisplay zeigt sehr übersichtlich alle nötigen Informationen an und wirkt sehr aufgeräumt.

Mein Ziel wird über die Spracheingabe sofort verstanden und der erkannte Text in der Fußzeile angezeigt, wirklich vorbildlich. Auch Einschalten der Sitzheizung und andere Befehle werden nicht nur hervorragend verstanden, sondern auch prompt umgesetzt und akustisch bestätigt. SO MUSS Sprachsteuerung funktionieren!

Im mittleren Display gibt es den Range Assist. Dieser sollte den aktuellen Verbrauch anzeigen. Leider klappte das in meinem Test weniger gut, aber dazu später. Die Balkenanzeige im Fahrerdisplay reagiert da schon wesentlich akkurater und zeigt auch realistische Werte an.

Da wir einen kurzen Zwischenstopp in St.Michael machen, wird dort auch gleich am Schnellader nachgeladen obwohl das nicht nötig wäre. Hier fällt mir auf, dass die Ladeleistung ab ca. 55% SOC bereits unter 80kW abfällt, obwohl der Polestar die letzten 150km bei Autobahntempo gefahren wurde, also gut gewärmt sein sollte. Wir erreichen Murau und dürfen heute Nacht am 11kW Lader beim roten Kreuz laden, da die Ladestation vor dem Hotel, die uns als Feature fürs Laden angeboten wurde nur einen 220V Anschluss mit 2,3 kW besitzt. Ich hinterlasse im Hotel, dass sie solche “Ladestationen” nicht fürs PKW aufladen anbieten sollen, außer die wollen ihren Gäste für mehrere Tage ans Hotel binden. Dezentes Unverständnis ist die Antwort. An diesem Tag hab ich für 250 km lt. Anzeige im Fahrzeug 26.9 kWh verbraucht, das ist ein guter Wert!

Am nächsten Tag geht es wieder zurück nach Wien. In der Früh vor der Abfahrt zeigt mir der Range Assist meines Polestar im Stillstand bei kaltem Auto 37 kWh Stromverbrauch an, was natürlich nicht stimmen kann.

Die aktuelle Reichweite im Range Assist wird mit 330 km angezeigt, im Fahrerdisplay sehe ich 400 km. Die Unterschiede sind gestern teilweise noch größer gewesen, seltsam. Auch während der Fahrt wird im Range Assist oft ein Verbrauch angezeigt, der während starker Rekuperation nicht stimmig erscheint.  Für mich bedeutet das, dem Fahrerdisplay mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Sehr spannend fand ich die Restreichweitenanzeige des Navigationssystems, denn dieses hat mir bei der fast 300km langen Rückfahrt einen sehr realistischen Wert des Batteriestandes prognostiziert, der auf bis zu 2% Abweichung zum Positiven auch eingetroffen ist. Diese Anzeige ändert sich auch bei Änderung der Fahrweise, damit hat man immer eine gute Aussicht auf die verfügbare Reichweite! So hätt ich das gerne in JEDEM Auto. Damit kann man den Range Assist getrost ignorieren! Ich habe auch auf der Rückfahrt lt. Anzeige im Auto 27 kWh verbraucht, für die Strecke mit Autobahn, auf der S6 oft auch 100 km/h und ein bisserl Stadt ein durchaus guter Wert für so viel Fahrspaß …

Fazit

Durch die Reduzierung auf das Wesentliche macht der Polestar2 einen sehr aufgeräumten und stimmigen Eindruck. Die Limousine ist in der Performance Variante perfekt abgestimmt, liegt satt und sicher auf der Straße und fährt auf Wunsch sehr kraftvoll.  Bei zügiger Fahrweise mit dem entsprechenden Verbrauch, kann aber durchaus auch sparsam, nur wer will das mit diesem Auto.
Das Android Betriebssystem sorgt für ein hervorragendes Benutzererlebnis in allen Bereichen.  Speziell die Sprachbedienung hat noch in keinem Auto so intuitiv und zuverlässig funktioniert wie im Polestar2.

Die Schnelladung könnte noch etwas länger mit der vollen Leistung stattfinden, aber das lässt sich sicher noch per Softwareupdate nachreichen.

Alles was man braucht ist vorhanden ohne sich aufzudrängen. Würde ich ein Fahrzeug in dieser Fahrzeugklasse kaufen wollen, käme der Polestar2 sicher in die engere Wahl! Falls ihr Interesse bekommen habt, dann schaut mal bei der Polestar Webseite vorbei, ihr bekommt eine sehr sportliche Limousine mit Genen aus dem Rennsport von Polestar.

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